Hochschulmathematisches Fachwissen: Wofür brauche ich das überhaupt?
Lehramtsaufgaben können zum Aufbau eines schulbezogenen Fachwissens beitragen
von Birke-Johanna Weber
Angehende Mathematiklehrkräfte haben häufig Schwierigkeiten, die Relevanz ihres fachmathematischen Studiums für den späteren Beruf zu sehen. Viele gehen davon aus, dass das schulmathematische Wissen ausreicht. Stellen Lehramtsstudierende jedoch keine Verbindungen her zwischen der Hochschulmathematik, die sie in ihrem Studium erlernen, und der Schulmathematik, die sie später unterrichten sollen, können sie ihr universitäres Fachwissen kaum bei der Planung und Durchführung des Unterrichts nutzen. Tatsächlich sind Schul- und Hochschulmathematik von so grundlegend verschiedenem Charakter, dass Wissen über Verbindungen zwischen diesen beiden „mathematischen Welten“ in der Regel nicht von allein aufgebaut wird und Lehramtsstudierende hierbei aktiv unterstützt werden müssen. Eine IPN-Studie untersuchte, inwiefern der Aufbau eines solchen schulbezogenen Fachwissens durch spezielle mathematische Übungsaufgaben – sogenannte Lehramtsaufgaben – geschehen kann.

Im Fach Mathematik ist der „Bruch“ zwischen Schule und Hochschule deutlich stärker ausgeprägt als in anderen Fächern (z. B. Physik). Die Schulmathematik kann der Allgemeinbildung zugerechnet werden, deren Ziel vor allem die Lösung von Alltagsproblemen ist. Bei der Hochschulmathematik dagegen handelt es sich um eine wissenschaftliche Disziplin, die als Ziel einen formal-deduktiven Theorieaufbau mithilfe von Axiomen, abstrakten Begriffen, mathematischen Sätzen und Beweisen verfolgt. In vielen klassischen Fachvorlesungen des gymnasialen Lehramtsstudiums wird nur die Hochschulmathematik gelehrt und nicht thematisiert, welche Verbindungen es zur Schulmathematik gibt.

Lehramtsaufgaben
An einigen Hochschulen werden im Lehramtsstudium Mathematik inzwischen Übungsaufgaben eingesetzt, die Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik explizieren – sogenannte Lehramtsaufgaben. Dies geschieht häufig im Kontext realistischer Handlungsanforderungen von Lehrkräften. Beispielsweise kann sich eine Lehramtsaufgabe mit einer Schülerfrage beschäftigen, die zunächst aus hochschulmathematischer Sicht und anschließend schülergerecht beantwortet werden soll. So können Lehramtsstudierende lernen, Verbindungen zwischen ihrem Studium und dem späteren Beruf herzustellen. Einerseits soll dadurch ein schulbezogenes Fachwissen aufgebaut werden. Andererseits erhofft man sich durch den Einsatz von Lehramtsaufgaben auch, dass Schul- und Hochschulmathematik nicht mehr als getrennte Welten von den Studierenden wahrgenommen werden, sondern als zusammenhängend und füreinander relevant.

Können Lehramtsaufgaben den Aufbau eines schulbezogenen Fachwissens fördern?
Mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse wurden 61 schriftliche Studierendenbearbeitungen von Lehramtsaufgaben dahingehend analysiert, ob die Lehramtsstudierenden im Verlauf des ersten Studienjahres Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik korrekt hergestellt haben. Tatsächlich gelang dies in mehr als der Hälfte der analysierten Bearbeitungen. Lehramtsaufgaben können die Aktivierung schulbezogenen Fachwissens somit anregen. Gleichzeitig konnten bei der Analyse auch Problemfelder bei der Bearbeitung identifiziert werden. So schien es vielen Studierenden leichter zu fallen, Verbindungen ausgehend von der Schulmathematik zur Hochschulmathematik zu ziehen, während der Rückbezug von der Hochschule zur Schule häufiger scheiterte.
Inwiefern unterstützen Lehramtsaufgaben Studierende dabei, Schul- und Hochschulmathematik als miteinander verbunden und füreinander relevant wahrzunehmen?
Um zu ermitteln, inwiefern sich Lehramtsaufgaben nicht nur auf das Wissen, sondern auch die Wahrnehmung der Studierenden auswirken können, wurde eine quasi-experimentelle Fragebogenstudie mit 98 Studierenden des ersten Studienjahrs durchgeführt. Abgefragt wurde zu zwei Messzeitpunkten, inwiefern Schul- und Hochschulmathematik als inhaltlich verbunden wahrgenommen werden sowie inwiefern die Hochschulmathematik als relevant für den Lehrberuf eingestuft wird. Zwischen den beiden Messzeitpunkten erhielten die Lehramtsstudierenden der Stichprobe wöchentlich 1–2 Lehramtsaufgaben und 7–9 klassische Übungsaufgaben ohne Schulbezug zur Bearbeitung. Die übrigen Studierenden bekamen nur klassische Übungsaufgaben. Es zeigte sich, dass sich die Wahrnehmung der Studierenden zwischen Prä- und Post-Test signifikant unterschiedlich entwickelte in Abhängigkeit davon, ob Lehramtsaufgaben bearbeitet wurden oder nicht. Die Studierenden, die Lehramtsaufgaben bearbeitet hatten, nahmen mehr inhaltliche Verbindungen nach der Bearbeitung von Lehramtsaufgaben zwischen Schul- und Hochschulmathematik wahr als zuvor und verzeichneten ein konstantes Level darin, Hochschulmathematik als für die Schule relevant wahrzunehmen. Die übrigen Studierenden zeigten in der Tendenz hingegen keine Zunahme der wahrgenommenen Verbindungen sowie ein Absinken der wahrgenommenen Relevanz.

Weber, B.-J., & Lindmeier, A. (2022). Typisierung von Aufgaben zur Verbindung zwischen schulischer und akademischer Mathematik. in V. Isaev, A. Eichler, & F. Loose (Hrsg.), Professionsorientierte Fachwissenschaft: Kohärenzstiftende Lerngelegenheiten für das Lehramtsstudium Mathematik. (S. 95–121). (Konzepte und Studien zur Hochschuldidaktik und Lehrerbildung Mathematik). Springer Spektrum. https://doi.org/10.1007/978-3-66263948-1_6
Fazit
Der Einsatz von Lehramtsaufgaben in fachmathematischen Veranstaltungen kann Lehramtsstudierende dabei unterstützen, für ihren angestrebten Beruf relevante Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik herzustellen. Zudem scheint es positive Effekte auf die Wahrnehmung der Studierenden zu geben, was wiederum die Studienzufriedenheit erhöhen und sich ebenfalls positiv auf den Lernerfolg auswirken kann.
Über die Autorin:

Dr. Birke-Johanna Weber war bis Ende des Jahre 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Didaktik der Mathematik am IPN sowie des Mathematischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Sie studierte Mathematik und Deutsch für das Lehramt an Gymnasien an der CAU und absolviert derzeit ihren Vorbereitungsdienst als Lehrkraft. Die hier vorgestellten Ergebnisse basieren auf Teilen ihrer am IPN angefertigten Dissertation. bweber@leibniz-ipn.de