Fachliches oder fachdidaktisches Wissen – was benötigt eine gute Lehrkraft?

Wie angehende Lehrkräfte durch Rahmenbedingungen im Studium unterstützt werden können, Professionswissen zu erlangen

von Dustin Schiering

Ein junger Mensch, der mit dem Ziel, Lehrerin oder Lehrer zu werden, studiert, muss Veranstaltungen mit fachlichen und fachdidaktischen Inhalten belegen. Je nachdem, an welcher Universität oder Pädagogischen Hochschule er bzw. sie studiert, variieren diese Anteile von Hochschule zu Hochschule. Welchen Einfluss die unterschiedlichen Studienbedingungen auf die Vorbereitung von Lehrkräften auf ihren Beruf haben, ist das IPN in einem groß angelegten Projekt zur Kompetenzentwicklung im Lehramtsstudium nachgegangen. Hier stellen wir Ergebnisse zum Fach Physik vor.

„Vergessen Sie alles, was Sie in der Universität gelernt haben.“ Diesen Satz haben wahrscheinlich viele angehende Lehrkräfte im Rahmen von Praktika oder am Anfang ihres Vorbereitungsdienstes gehört. Die universitäre Lehramtsausbildung wird seit vielen Jahren von dem Ruf begleitet, praxisfern zu sein und angehende Lehrkräfte nur unzureichend auf den Alltag in der Schule vorzubereiten. Unterfüttert wird dies durch Erfahrungsberichte und Umfragen, wie beispielsweise die vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Studie „Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik“ aus dem Jahr 2012, in der immerhin die Hälfte aller befragten Lehrkräfte angaben, dass ihr Lehramtsstudium sie nur unzureichend auf die Praxis vorbereitet hat.

Das Professionswissen von Lehrkräften

Die didaktische Forschung sollte sich daher auch mit der Frage beschäftigen, inwieweit die derzeitige Ausbildung von Lehrkräften zukunftsfähig und adäquat ist bzw. inwieweit angehende Lehrkräfte im Rahmen ihrer Ausbildung gut auf den Beruf vorbereitet werden. Dies ist insbesondere wichtig, da die empirische Bildungsforschung der vergangenen Dekaden eindrucksvoll belegen konnte, dass Lehrkräfte eine Schlüsselrolle hinsichtlich des schulischen Erfolgs der Schülerinnen und Schüler einnehmen. Dabei ist das Professionswissen von Lehrkräften eine der entscheidenden Einflussgrößen für Unterrichtsqualität und für das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Professionswissen wird dabei in fachliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen untergliedert. Für fachspezifische Unterrichts- und Lernsituationen bilden das fachliche und fachdidaktische Wissen den Kern des Professionswissens.

Aufgrund der besonderen Bedeutung des fachlichen und fachdidaktischen Wissens wurde im Rahmen eines Projekts am IPN die Entwicklung dieser beiden Wissensbereiche im Verlauf des Lehramtsstudiums untersucht. Das Projekt Kompetenzentwicklung in mathematischen und naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen (kurz: KeiLa) setzte an dieser Stelle an, indem es sich vor allem der Frage widmete, welche Bedeutung institutionelle Faktoren wie das Lehramtsstudium für den Erwerb professionellen Wissens haben. Zunächst werfen wir aber einen Blick darauf, wie das Physik-Lehramtsstudium in Deutschland strukturiert ist.

Die Struktur des Physik-Lehramtsstudiums

Von dem einen Physik-Lehramtsstudium in Deutschland zu sprechen, ist nicht möglich. Verschiedene Hochschul- und Lehramtsreformen, der Föderalismus und – nicht zuletzt – die Autonomie der Hochschulen haben in den vergangenen zwanzig Jahren zu verschiedenen Lehramtsstudiengängen geführt. Abschlüsse wie das Staatsexamen stehen neben dem Bachelor-Master-System, Pädagogische Hochschulen konkurrieren mit Universitäten, und die verschiedenen Lehramtstypen, insbesondere für die Mittelstufe, sind über die Bundesländer hinweg nicht einheitlich geregelt. Betrachtet man die diversen Lehramtsstudiengänge in Deutschland, so kann von einem bunten Flickenteppich gesprochen werden. Es gibt Vermutungen, dass das Professionswissen angehender Physiklehrkräfte von diesen verschiedenen Rahmenbedingungen des Studiengangs beeinflusst wird. Insofern besteht großer Bedarf, die Struktur des Physik-Lehramtsstudiums systematisch zu analysieren.

»Innerhalb der ersten drei Studienjahre fallen fünfmal so viele Semesterwochenstunden auf das Fach wie auf Veranstaltungen in der Fachdidaktik.«

Die Analyse von 25 Curricula zwanzig deutscher Hochschulen für das Physik-Lehramtsstudium zeigte, dass innerhalb der ersten drei Studienjahre (d. h. im Bachelorstudiengang) fünfmal so viele Semesterwochenstunden auf das Fach wie auf Fachdidaktikveranstaltungen fallen. Dabei sind die Inhalte der Fachveranstaltungen kanonisch und lassen einen typischen Studienverlauf erkennen. Hingegen verläuft die fachdidaktische Ausbildung in den ersten drei Studienjahren deutlich weniger kanonisch, außerdem werden die in den Standards der Lehrkräftebildung vorgegebenen Inhaltsbereiche nur unzureichend adressiert. Beispielsweise wird der fachdidaktische Inhaltsbereich Motivation und Interesse in 24 der 25 Curricula nicht explizit thematisiert – wenngleich dieser Inhalt als verpflichtend in den Standards der Lehrkräftebildung aufgeführt ist. Größtenteils handelt es sich bei Veranstaltungen der Fachdidaktik um überblicksartige Einführungsveranstaltung, die sich keinem speziellen Inhaltsbereich zuordnen ließen. Dies kann durchaus als problematisch gewertet werden, da so unklar bleibt, welches fachdidaktische Wissen von angehenden Physiklehrkräften in den ersten drei Jahren ihres Lehramtsstudiums entwickelt wird.

Abbildung 1: Verpflichtende Inhalte für das Lehramtsstudium gemäß Standards der Lehrkräftebildung und ihr Umfang in den ersten drei Studienjahren

Der Erwerb fachdidaktischen Wissens

Ein hilfreiches Werkzeug, um die Entwicklung des fachdidaktischen Wissens angehender Physiklehrkräfte detailliert beschreiben zu können, bieten sogenannte Niveaumodelle. Modelle, mit denen verschiedene Niveaus von fachdidaktischem Wissen beschrieben werden, erlauben eine inhaltliche Beschreibung auf Basis von numerischen Testergebnissen. Auf Grundlage von Befragungen und Testungen von N = 427 angehenden Physiklehrkräften konnte ein solches Niveaumodell entwickelt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass das reine Reproduzieren von fachdidaktischen Inhalten eher niedrige Niveaustufen charakterisiert, während reflexive Fähigkeiten vermehrt das Wissen hoher Niveaustufen beschreibt. Es stellt sich also zwangsläufig die Frage, wie das Lehramtsstudium angehende Physiklehrkräfte unterstützen kann, hohe Niveaus fachdidaktischen Wissens zu erlangen. Hierbei spricht man den Schulpraktika eine besondere Bedeutung zu, da angehende Lehrkräfte Praxiserfahrungen nutzen können, um ihr fachdidaktisches Wissen weiter zu entwickeln und zu festigen. Die Befragungen und Testdaten zeigten dabei deutlich, dass absolvierte Schulpraktika im Rahmen des Lehramtsstudiums tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Erreichen höherer Niveaus fachdidaktischen Wissens aufweisen. Als stärkste Determinante für ein ausgeprägtes fachdidaktisches Wissen zeigte sich jedoch das vorhandene fachliche Wissen der angehenden Physiklehrkräfte. Wobei sich interessanterweise die Stärke dieses Einflusses mit höherem Niveau verringerte: Niedrige Niveaus beruhen stärker auf dem fachlichen Wissen als höhere. Dennoch verdeutlichen diese Ergebnisse, dass für die Entwicklung fachdidaktischen Wissens ebenso fachliches Wissen und damit auch die dazugehörigen fachlichen Lehrveranstaltungen im Lehramtsstudium eine fundamentale Rolle spielen.

Abbildung 2: Niveaumodell für das fachdidaktische Wissen. Die Farben Grün (Kreuz), Orange (Viereck), Rot (Dreieck) und Grau (Stern) symbolisieren die Zugehörigkeit zu den Niveaus 1, 2, 3 und 3+. Auf der linken Seite sind die Probanden entlang ihrer Fähigkeit (d.h. ihres fachdidaktischen Wissens) abgebildet. Die Probandengruppe, welche schwarz eingefärbt ist, liegt unterhalb des Niveaus 1. Auf der rechten Seite sind die Aufgaben zur Messung des fachdidaktischen Wissens entlang ihrer Aufgabenschwierigkeit aufgeführt.

Abbildung 3: Cross-Lagged-Modell zur Aufklärung der Posttestdaten im fachlichen Wissen. Gerichtete Pfeile entsprechen der standardisierten Faktorladung, Doppelpfeile stehen für Korrelationen. Gestrichelte Pfeile entsprechend nicht-signifikante Koeffizienten (p > .05). ***p < .001; **p < .01; *p < .05.

Kognitive Unterstützung zum Erwerb fachlichen Wissens

Die oben beschriebenen Befunde führen zu dem Wunsch, Unterstützungsmaßnahmen fachlicher Lerngelegenheitchen Lernveranstaltungen als bedeutend für den fachlichen Wissenszuwachs der Studierenden zu bewerten ist. Diese kognitive Unterstützung kann dabei beispielsweise durch Feedback zu individuellen Lernverläufen als auch durch en zu identifizieren und diese zur Förderung angehender Physiklehrkräfte einzusetzen – vor allem, da das Studienfach Physik als hoch formalisiert, hierarchisch und stark herausfordernd wahrgenommen wird. Die hierzu ausgewerteten Testdaten von N = 107 angehenden Physiklehrkräften legen nahe, dass insbesondere die kognitive Unterstützung durch die Hochschuldozentinnen und -dozenten in fachlichen Lernveranstaltungen als bedeutend für den fachlichen Wissenszuwachs der Studierenden zu bewerten ist. Diese kognitive Unterstützung kann dabei beispielsweise durch Feedback zu individuellen Lernverläufen als auch durch Klarheit der Lernziele oder explizite inhaltliche Strukturierungen erreicht werden. Es zeigte sich darüber hinaus, dass sich diese kognitive Unterstützung in fachlichen Veranstaltungen insbesondere auf das handlungsnahe fachliche Wissen auswirkt, also jenes Wissen, welches in physikalischen Anwendungssituationen wie zum Beispiel dem Experimentieren relevant wird.

Fazit

Die Entwicklung des Professionswissens angehender Physiklehrkräfte stellt eine große Herausforderung für die universitäre Lehramtsausbildung dar. Neben der eigentlichen Studienstruktur können auch Unterrichtserfahrungen im Rahmen von Schulpraktika einen großen Anteil an der Professionalisierung zukünftiger Lehrkräfte leisten. Dieser Anteil wird umso größer, wenn neben der Struktur des Lehramtsstudiums ebenso die Qualität der Lehrveranstaltungen berücksichtig wird. Auf diese Weise kann die universitäre Lehramtsausbildung ihre Bedeutung für den Erwerb des Professionswissens weiter optimieren und angehende Physiklehrkräfte optimal auf ihren zukünftigen Arbeitsalltag vorbereiten, um so den Grundstein für erfolgreichen Unterricht – heute und in Zukunft – zu legen.

Schiering, D., Sorge, S., Keller, M. M. & Neumann, K. A proficiency model for pre-service physics teachers’ pedagogical content knowledge (PCK): What constitutes high-level PCK? Journal of Research in Science Teaching, 60(1), 136–163. https://doi.org/10.1002/tea.21793

Schiering, D., Sorge, S. & Neumann, K. (2021). Hilft viel viel? Der Einfluss von Studienstrukturen auf das Professionswissen angehender Physiklehrkräfte. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 24(3), 545–570. https://doi. org/10.1007/s11618-021-01003-w

Schiering, D., Sorge, S. & Neumann, K. (2021). Promoting progression in higher education teacher training: How does cognitive support enhance student physics teachers’ content knowledge development? Studies in Higher Education, 46(10), 2022–2034. https://doi.org/10.1080/03075079.2021.1953337

Über den Autor:

Dr. Dustin Schiering studierte Mathematik und Physik für das gymnasiale Lehramt an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel. Er war bis zum Sommer 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Didaktik der Physik am IPN Kiel, wo er ebenfalls in der Didaktik der Physik promovierte. Derzeit ist er im Vorbereitungsdienst als Lehrkraft an Gymnasien. In diesem Artikel stellt er Teile seiner Dissertation vor, die sich mit der Wirkung der universitären Physik-Lehramtsausbildung befasste. schiering@leibniz-ipn.de