Was beeinflusst die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern?
Dieser Frage sind Dr. Thorben Jansen und Dr. Jennifer Meyer vom IPN im Rahmen einer groß angelegten Literaturzusammenfassung nachgegangen. Das IPN Journal spricht mit den beiden über Herangehensweisen und Ergebnisse ihrer Studie.

Dr. Thorben Jansen und Dr. Jennifer Meyer arbeiten beide in der IPN-Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie und leiten jeweils eine Nachwuchsgruppe am IPN. Sie haben sich die Frage gestellt, wodurch die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern beeinflusst wird. Um dieser Frage nachzugehen, haben sie gemeinsam mit Allan Wigfield von der University of Maryland und Jens Möller von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) über 125 Meta-Analysen ausgewählt, die Studien aus diesem Bereich zusammenfassen, und diese wiederum zusammengefasst. Mit ihrer Arbeit ist ihnen ein besonderer Publikationserfolg gelungen: Sie wurde in der renommierten Zeitschrift Psychological Bulletin veröffentlicht. Das IPN Journal spricht mit Thorben Jansen und Jennifer Meyer über den langen Weg dorthin und ihre aufschlussreichen Ergebnisse.
IPN JOURNAL: Spannend ist unter anderem die Methodik der Arbeit, denn wir sprechen hier nicht von einer Meta-Analyse im klassischen Sinn. Stattdessen habt ihr bereits durchgeführte Meta-Analysen systematisch zusammengefasst und ausgewertet. Für mich stellt sich die Frage, wie man eine wissenschaftlich so großangelegte Studie auf den Weg bringt? Wie habt ihr zum Beispiel die Meta-Studien ausgewählt, die wiederum in eure Studie eingegangen sind?
THORBEN JANSEN: Unser Startpunkt war die Fragestellung, was am stärksten mit der Motivation von Schülerinnen und Schülern zusammenhängt. Die Idee war, dazu möglichst umfassende Aussagen treffen zu können, und dafür die bisherigen Studien zu dem Thema meta-analytisch zusammenzufassen. Die Auswahl der Studien haben wir sehr breit angelegt. Wir wollten wirklich alle Studien einschließen, die sich Zusammenhänge von schulbezogener Motivation mit einem beliebigen Aspekt angesehen haben. Uns war anfänglich die Größe des Projektes nicht bewusst. Es wurde aber relativ schnell klar, dass es sehr viele Studien zur Schülermotivation gibt, über 5000 Studien. Wir hätten es nicht geschafft, so viele Studien zu vergleichen, deswegen haben wir uns dafür entschieden, Meta-Analysen zusammenzufassen und Effektstärken zu vergleichen. Das wirkte nach einem umsetzbaren Plan, hat jedoch trotzdem einige Jahre gedauert.

IPN JOURNAL: Und in diesen Jahren sind kaum vorstellbare Mengen an Daten zusammengekommen, die die Grundlage eurer Forschung bilden. Beeindruckend ist zum Beispiel die Zahl von 25 Millionen Schülerinnen und Schülern, deren Daten insgesamt berücksichtigt wurden. Hatte diese große Datenbasis besondere Auswirkungen auf eure Herangehensweise?
THORBEN JANSEN: Die enorme Anzahl an Schülerinnen und Schülern hatte einen überraschend kleinen Einfluss auf die Herangehensweise. In Meta-Analysen von Primärstudien gewichtet man die Ergebnisse jeder Studie anhand des sogenannten Stichprobenfehlers, der sich aus der Anzahl der berücksichtigten Personen berechnet. Dort können Studien mit vielen Personen doppelt oder sogar zehnfach so wichtig sein wie eine Studie mit wenigen Personen. Allerdings kann der Stichprobenfehler bei sehr vielen Personen fast null werden, sodass dann durch noch mehr Personen der Stichprobenfehler sich nicht mehr ändert, also unverändert klein bleibt. Genau das war hier der Fall, fast alle Meta-Analysen berücksichtigen so viele Schülerinnen und Schüler, dass ihre Stichprobenfehler nahe null waren. Damit wir trotzdem umfassenderen Meta-Analysen ein höheres Gewicht geben konnten, haben wir die Meta-Analysen auch nach der Anzahl der eingeschlossenen Primärstudien gewichtet.
Außerdem ist an unserer Studie besonders, dass wir mit bereits zusammengefassten Daten gerechnet haben. Jede Zusammenfassung bedeutet auch immer einen Informationsverlust darüber, was genau in den Studien gemacht wurde. Wir wollten ursprünglich spezifischere Aussagen machen, z. B. über unterschiedliche Arten von Motivation wie der intrinsischen oder extrinsischen Motivation. Das konnten wir aber aufgrund der Zusammenfassungen der Daten in den Meta-Analysen nicht leisten.
IPN JOURNAL: Wie du schon angedeutet hast, geht es inhaltlich bei eurer Studie um die Lernmotivation bei Schülerinnen und Schülern. Welches Ziel habt ihr konkret mit eurer Forschung verfolgt?

»Ein gut strukturierter Unterricht mit klaren Lernzielen ist motivierend.«
THORBEN JANSEN: Zentrales Ziel war es, die Stärke von Zusammenhängen verschiedener Faktoren mit der Lernmotivation zu vergleichen. Diese Frage konnte die Literatur vorher nicht beantworten, da Meta-Analysen immer nur einige, wenige Variablen betrachten. In unserer Studie wollten wir die bisherige Forschung dazu nutzen, einmal alle bisher untersuchten Variablen zu betrachten und deren Zusammenhänge mit Lernmotivation zu vergleichen.
JENNIFER MEYER: Ein weiteres Ziel der Arbeit lag darin, einen Überblick über das Feld zu bekommen: Für welche Variablen haben sich Forschende bislang interessiert, für welche Aspekte gibt es zwar Forschung, aber kaum Meta-Analysen? Und wie ist die methodische Qualität der Studien insgesamt, aber auch für die verschiedenen untersuchten Variablen? Ein solcher Überblick kann hilfreich sein, um Forschungslücken zu identifizieren und damit das Feld als Ganzes voranzutreiben.
IPN JOURNAL: Im Kern steht also die Frage, womit die Motivation von Schülerinnen und Schülern zusammenhängt. Was genau habt ihr dabei untersucht, lässt sich das in irgendeiner Weise kategorisieren?
THORBEN JANSEN: Wir haben alle Ergebnisse eingeschlossen, die wir finden konnten. Diese haben wir zunächst in Eigenschaften der Schülerinnen und Schüler und in Eigenschaften von Instruktion geteilt. Auf der Seite der Schülerinnen und Schüler gab es die Kategorien Schulleistung, das sozial-emotionale Umfeld und den Hintergrund. Auf der Seite der Instruktion haben wir die Ergebnisse in den Kategorien Lehrkräfte und Unterricht, Interventionen und Technologie unterschieden.
JENNIFER MEYER: Wir haben uns hier von Kategorien früherer Studien und Meta-Studien leiten lassen. Unser Ziel bestand dabei darin, die Gemeinsamkeiten aller Variablen, die untersucht wurden, bestmöglich zu beschreiben, ohne einzelne Studien auszuschließen
IPN JOURNAL: Ihr habt euch also mit einer Vielzahl von Variablen beschäftigt und das in einer wie erwähnt großen Menge an Daten. Zu welchem Ergebnis seid ihr letztlich gekommen? Lässt sich zum Beispiel sagen, unter welchen Bedingungen Schülerinnen und Schüler besonders motiviert lernen?
THORBEN JANSEN: Besonders die Schulleistung und die eigene Wahrnehmung der Schulleistungen durch die Schülerinnen und Schüler hängen stark mit der Motivation zusammen. Wer gut in der Schule ist und sich kompetent fühlt, ist auch eher motiviert. Auf der Seite der Instruktionen kommt es besonders auf die Qualität des Unterrichts und die Beziehung zwischen Schülerinnen, Schülern und ihren Lehrkräften an.
JENNIFER MEYER: Um motiviert zu sein, brauchen Schülerinnen und Schüler insbesondere ein Kompetenzerleben sowie das Gefühl der sozialen Eingebundenheit. Wie einzelne Meta-Analysen zeigen, ist weiterhin ein gut strukturierter Unterricht mit klaren Lernzielen motivierend.
IPN JOURNAL: Was bedeuten denn diese Erkenntnisse nun für die Praxis? Insbesondere Lehrkräfte stehen häufig vor der Herausforderung, ihre Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Wie kann eine Lehrkraft die Ergebnisse eurer Forschung dazu nutzen, um Schülerinnen und Schüler möglichst gezielt zu motivieren?
THORBEN JANSEN: Lehrkräfte sollten sich zum Ziel nehmen, eine nahe Beziehung zu ihrer Klasse aufzubauen und durch ihren Unterricht das Lernen zu fördern. Es ist außerdem wichtig zu wissen, dass die Motivation der Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrem Hintergrund ist. Insbesondere das Ergebnis, dass die Beziehung zur Lehrkraft und die Qualität des Unterrichts motivationsförderlich sind, wird wahrscheinlich das Gefühl vieler Lehrkräfte widerspiegeln und kaum eine Lehrkraft überraschen. Der Gewinn der Studie für die Praxis liegt darin, diese allgegenwärtigen Gefühle durch Daten so zu unterstützen, dass sie als empirische Argumente in Diskussionen mit Eltern und der Bildungsadministration verwendet werden können.
IPN JOURNAL: Ergebnisse anderer Studien zum Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern zeigen, dass es nach wie vor eine Rolle spielt, in welcher sozialen Umgebung ein Kind aufwächst. In eurer Studie zeigt sich nun, dass der Hintergrund für die Lernmotivation von Kindern und Jugendlichen weniger wichtig ist. Wie passt das zusammen?

THORBEN JANSEN: Die soziale Umgebung haben wir nicht im Hintergrund, sondern in der Kategorie sozioemotionale Variablen zusammengefasst. Diese zeigt passend zu den erwähnten Studien zum Bildungserfolg starke Zusammenhänge. Beispielsweise ist das Gefühl, zur Schulgemeinschaft zu gehören, stark mit der Schulmotivation verknüpft. In der Kategorie, die wir als Hintergrund der Schülerinnen und Schüler bezeichnen, fassen wir Meta-Analysen zum Geschlecht, dem amerikanischen Konstrukt race und dem Elternhaus der Schülerinnen und Schüler zusammen. Wir haben leider keine meta-analytische Studie zum sozioökonomischen Status der Familien oder dem Migrationshintergrund gefunden. Insbesondere bei Geschlecht und race der Schülerinnen und Schüler zeigen sich kleine Zusammenhänge zur Motivation. Dabei konnten wir leider mit unseren Daten Unterschiede zwischen Schulfächern nicht berücksichtigen, obwohl wir annehmen, dass es diese gibt.
»Lehrkräfte sollten sich zum Ziel nehmen, eine nahe Beziehung zu ihrer Klasse aufzubauen und durch ihren Unterricht das Lernen zu fördern.«
JENNIFER MEYER: Das heißt, wir können hier keine Aussagen über stereotypische Unterschiede beispielsweise im Bereich der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) machen. Andere Studien zeigen, dass hier weiterhin motivationale Nachteile bei Schülerinnen im Vergleich zu Schülern vorliegen (für Deutschland finden sich dazu zum Beispiel Hinweise im IQB Ländervergleich 2021). Solche differentiellen Unterschiede können wir jedoch anhand unserer Daten nicht zeigen, da wir nicht nach Schulfach unterscheiden und auch nicht die Richtung der Effekte berücksichtigen. Wenn man positive und negative Zusammenhänge mittelt, verliert man Informationen über die absolute Höhe der Zusammenhänge. Wir haben uns hier dafür entschieden, die absoluten Effektstärken zu berichten und weniger auf die Richtung der Effekte einzugehen. Trotz dieser Entscheidung suchen wir weiter nach Möglichkeiten, in unseren folgenden Studien auch solche Effekte sichtbar zu machen.
IPN JOURNAL: Damit hast du eine Einschränkung eurer Herangehensweise genannt. Das führt uns zu einer weiteren wichtigen Frage: An welchen Stellen stößt eure Studie an Grenzen?
THORBEN JANSEN: Immer dann, wenn man spezifische Fragen hat. Man muss sich unsere Studie wie einen Blick von einem sehr hohen Berg vorstellen. Man kann sehen, welche Bereiche es gibt, wo schon Felder von den Forschenden beackert wurden. Doch wenn man, um im Bild zu bleiben, sehen will, was auf den Feldern angebaut wird, also nähere Informationen zu den verschiedenen Themen benötigt, muss man selbst aufs Feld gehen und die verschiedenen Meta-Analysen und auch die Primärstudien lesen.

JENNIFER MEYER: Wir können weiterhin keine Aussagen über Interaktionen verschiedener Variablen machen. Im Klassenraum stehen alle Variablen, die wir uns einzeln angeschaut haben, in einem Zusammenspiel. Sie bilden einen speziellen Kontext. In unseren Ergebnissen können wir keine Aussagen darüber ableiten, ob die Ergebnisse in verschiedenen Kontexten, also in unterschiedlichen Klassenzimmern, genauso wirken würden. Beispielsweise könnte ein Motivationstraining, das laut unserer Literaturzusammenfassung in vielen amerikanischen Klassenzimmern funktioniert hat, unter verschiedenen Umständen in Klassenzimmern in europäischen oder afrikanischen Ländern sehr unterschiedliche Effekte erzielen.
Wichtig ist auch zu betonen, dass unsere Ergebnisse nur so aussagekräftig sein können, wie die Qualität der Primärstudien und Meta-Analysen, die wir einbezogen haben, es zulässt. In unserer Studie haben wir eine Reihe von methodischen Aspekten ausgezählt, die Aufschlüsse darüber geben können, inwiefern innerhalb einer Meta-Analyse geprüft wurde, ob Verzerrungen wie der viel diskutierte Publication Bias vorliegen, der dadurch entsteht, dass signifikante Ergebnisse eher veröffentlicht werden und daher leichter zu finden sind. Zu diesen Aspekten gehört beispielsweise die Frage, wie detailliert die Studien ihre Literaturanalyse beschrieben haben. Solche Informationen sollten bei der Interpretation einzelner Effektstärken berücksichtigt werden, insbesondere wenn praktische Implikationen abgeleitet werden sollen.
IPN JOURNAL: Könnt ihr abschließend einen Ausblick geben, wie es ausgehend von dieser Arbeit, nun weitergehen kann?
THORBEN JANSEN: Wenn man zur Metapher des Berges zurückgeht, besteht eine tolle Eigenschaft der Arbeit darin, dass ausgehend von ihr als Aussichtspunkt sehr viele Orte zu sehen sind, zu denen man in Zukunft forschen kann. Man sieht zum Beispiel, dass es wenige Meta-Analysen zum Unterricht gibt, auch wenn die vorhandenen darauf hindeuten, dass man dort viel über die Förderung von Motivation lernen kann. Mein persönlicher Ausblick ist es, unsere eingangs gestellte Frage „Was hängt am stärksten mit der Motivation von Schülerinnen und Schülern zusammen?“ auf die Frage „Was hängt am stärksten mit dem Lernen zusammen?“ zu erweitern. Dafür möchte ich noch zwei weitere Studien dieser Art durchführen, eine zu den Selbstwahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler und eine noch umfangreichere zur Schulleistung. Man braucht Wissen zu all diesen Variablen, um die besten Interventionen auszuwählen.
JENNIFER MEYER: Ich denke, es ist außerdem wichtig, im nächsten Schritt auch detaillierte Fragestellungen zur Lernmotivation in den Blick zunehmen. Diese konnten wir in unserer Arbeit aufgrund ihres Überblickscharakters nicht beantworten. Für weitere Studien ist beispielsweise das Zusammenspiel verschiedener Faktoren in den Klassenräumen interessant, und inwiefern bestimmte Faktoren für einige Schülerinnen und Schüler bedeutsamer für die Motivation sind als für andere. Beide methodischen Herangehensweisen können unterschiedliche Aspekte schulischer Motivation beleuchten und uns helfen, besser zu verstehen, wie wir Schülerinnen und Schüler für das Lernen begeistern können.
IPN JOURNAL: Vielen Dank für das Gespräch.
Über die Gesprächspartner*innen:
Dr. Thorben Jansen ist Mitarbeiter der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am IPN. Zuvor studierte er Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Am IPN leitet er die Nachwuchsgruppe Digital Argumentation Instruction for Science (DARIUS), die erforscht, wie schriftliches naturwissenschaftliches Argumentieren von Schülerinnen und Schülern mithilfe von automatisierten formativen Beurteilungen gefördert werden kann. Ziel des durch die Telekom-Stiftung geförderten Projektes ist die Entwicklung eines digitalen Lerntools, mit dessen Hilfe Schülerinnen und Schüler das schriftliche naturwissenschaftliche Argumentieren erlernen und trainieren können. tjansen@leibniz-ipn.de
Dr. Jennifer Meyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am IPN. Die Diplom-Psychologin leitet die Nachwuchsgruppe „Formatives Assessment beim Schreiben: Automatisiertes Feedback unter Verwendung von künstlicher Intelligenz (FORMAT)“. In dem Verbundprojekt mit der Universität Hildesheim untersucht sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen, wie die automatisierte Bewertung von Texten unter Verwendung künstlicher Intelligenz bzw. darauf basierendes Feedback im Klassenzimmer eingesetzt werden kann, um die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. jmeyer@leibniz-ipn.de