Mit Empathie zum Erfolg?
Sozial-emotionale Kompetenz als Merkmal erfolgreicher Lehrkräfte
von Karen Aldrup
Am IPN beschäftigt sich die Forschungsgruppe SEMO (sozial-emotionale Merkmale erfolgreicher Lehrkräfte) mit den Effekten der sozial-emotionalen Kompetenz und des beruflichen Wohlbefindens von Lehrkräften auf die Unterrichtsqualität und die fachliche sowie affektiv-motivationale Entwicklung von Schülerinnen und Schülern. In diesem Beitrag stellen wir ausgewählte Forschungsergebnisse der SEMO-Gruppe zur sozial-emotionalen Kompetenz von Lehrkräften vor und beleuchten, welche Rolle Empathie und Emotionsregulation, als zwei zentrale Aspekte sozial-emotionaler Kompetenz, für die Unterrichtsqualität und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler spielen.

Frau Michelsen unterrichtet seit Kurzem eine 8. Klasse in Mathematik. Einer der Schüler, Tim, passt im Unterricht nicht auf, redet häufig mit seinem Sitznachbarn, kann Fragen an ihn selten beantworten und macht seine Hausaufgaben häufig unvollständig oder gar nicht.
Warum zeigt Tim dieses Verhalten? Langweilt ihn das Thema? Sind ihm die Aufgaben zu schwierig? Vermeidet er Mathematik aus Angst oder fühlt er sich im Unterricht nicht wohl? Und wie geht es der Lehrkraft in dieser Situation? Möglicherweise ärgert sich Frau Michelsen über Tims fehlende Motivation. Vielleicht empfindet sie Hilflosigkeit, weil sie nicht weiß, wie sie ihm helfen kann, oder fürchtet, dass Tims Verhalten zunehmend destruktiv und störend wird.
Diese und ähnliche Situationen kennen viele Lehrkräfte: Schließlich sind soziale Interaktionen mit den Schülerinnen und Schülern der zentrale Aspekt ihres Berufs. Dabei entstehen auf beiden Seiten häufig vielfältige Emotionen. Um die sozialen Interaktionen zu bewältigen, benötigen Lehrkräfte zusätzlich zu fachbezogenem auch überfachliches Wissen und Können. Das Forschungsfeld betonte bereits im Jahr 2009 in einem theoretischen Modell die Bedeutung der sozial-emotionalen Kompetenz und des beruflichen Wohlbefindens von Lehrkräften für erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse.
Wer neugierig auf weitere Erkenntnisse aus der SEMO-Arbeitsgruppe ist, kann hier mehr über ihre Forschung und aktuellen Projekte erfahren: https://semo.leibniz-ipn.de

Abbildung 1: Theoretisches Modell zur Rolle der sozial-emotionalen Kompetenz und des Wohlbefindens von Lehrkräften für ihr berufliches Verhalten und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler
Das Modell des prosozialen Klassenraums von Jennings und Greenberg (2009): Ausgehend von der Forderung, dass Bildung nicht nur zur akademischen Leistung von Schülerinnen und Schülern, sondern auch ihrer psychosozialen Entwicklung beitragen sollte, betonen Jennings und Greenberg in ihrem Modell hierfür die Bedeutung der sozial-emotionalen Kompetenz und des Wohlbefindens von Lehrkräften. Sie formulierten die Annahme, dass sozial-emotional kompetente Lehrkräfte, die zufrieden und stressresistent sind, auch deutlich besser in der Lage sind, ihre Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, zu unterstützen und positive Beziehungen im Klassenraum zu ermöglichen (= emotionale Unterstützung) sowie klare Regeln zu formulieren und durchzusetzen (= Klassenführung). Zudem sollte es ihnen besser gelingen, den Unterricht auf dem Kenntnisstand und den Interessen der Schülerinnen und Schüler aufzubauen (= fachliche Unterstützung). Ein derart gestalteter Unterricht wiederum trägt, wie sich in zahlreichen empirischen Studien zeigt, zu guten akademischen Leistungen und zur psychosozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler bei.
WIE KÖNNEN LEHRKRÄFTE EMPATHIE ZEIGEN?
Suchen Sie aktiv und bewusst nach Hinweisen bei den Schülerinnen und Schülern, ob diese Unterstützung oder Hilfe benötigen. Schülerinnen und Schüler machen nicht nur durch Meldungen und Nachfragen deutlich, dass sie etwas nicht verstanden haben. Wenn Schülerinnen und Schüler schulische Schwierigkeiten oder soziale Probleme haben, verängstigt oder verärgert sind, kann man das häufig auch im Verhalten, der Mimik und der Gestik erkennen. Im besten Fall kennen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler so gut, dass sie vorhersagen können, an welcher Stelle Verständnisschwierigkeiten oder auch soziale / emotionale Probleme auftreten werden, sodass Sie Ihren Unterricht entsprechend planen und gestalten können. Berücksichtigen Sie außerschulische Faktoren, die die Schülerinnen und Schüler beschäftigen, und erkennen Sie die Gefühlslage der Kinder an.
WIE KANN LEHRKRÄFTEN EINE EFFEKTIVE EMOTIONSREGULATION GELINGEN?
Eine der effektivsten Emotionsregulationsstrategien ist es, die emotionsauslösende Situation nachhaltig zu verändern. Manchmal ist es jedoch nicht möglich, eine Situation zu verändern und wir haben wenig Handlungsspielraum. Hier haben sich kognitive Strategien als sehr hilfreich erwiesen. Ein Beispiel hierfür ist die kognitive Umbewertung, bei der es darum geht, sich von negativen Gedanken zu lösen und stressauslösende Situationen aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Weiterhin gibt es einige Strategien, die als eher ineffektiv gelten, insbesondere die expressive Regulation, die auch als Suppression bezeichnet wird. Diese Strategie ist auf lange Sicht nicht nur für die Lehrkraft selbst, sondern auch für die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern schädlich. Denn trotz des Versuchs, sich den eigenen Ärger nicht anmerken zu lassen, nehmen die Schülerinnen und Schüler diesen weiterhin wahr.
Sozial-emotionale Kompetenz von Lehrkräften
Empathie und Emotionsregulation gelten als zwei zentrale Aspekte der sozial-emotionalen Kompetenz. Empathie ist die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen, ihre Emotionen zu erkennen und nachzuempfinden. Theoretisch kann angenommen werden, dass das Verstehen und Erkennen der Emotionen des Gegenübers es ermöglichen, die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler treffend einzuschätzen, während das Mitfühlen die Motivation erhöht, auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen.
Emotionsregulation ermöglicht es Lehrkräften zu steuern, welche Emotionen sie selbst erleben und wie sie diese im Unterricht ausdrücken. Dabei lassen sich zwei zentrale Strategien unterscheiden: Die kognitive Regulation setzt an den Gedanken an und ermöglicht es, eine andere Perspektive einzunehmen, um das emotionale Erleben zu verändern. Die expressive Regulation hingegen setzt am Emotionsausdruck an, verändert also nicht das Empfinden der Person.
Allerdings ist bislang wenig darüber bekannt, welche Effekte die sozial-emotionale Kompetenz auf den Unterricht und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler hat. Dieses Wissen ist insbesondere für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften relevant, um Angebote entsprechend ausrichten zu können. Erst seit einigen Jahren widmen sich empirische Studien zunehmend dieser Frage. In zwei systematischen Reviews fasste die SEMO-Arbeitsgruppe daher die bislang gewonnen Erkenntnisse zur Rolle von (1) Empathie und (2) Emotionsregulation für die Unterrichtsqualität sowie die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zusammen. Im Fokus standen dabei die drei zentralen Dimensionen der Unterrichtsqualität – emotionale Unterstützung, Klassenführung und fachliche Unterstützung – sowie die kognitiven (z. B. Mathematikleistung) und nicht-kognitiven (z. B. Interesse am Unterricht, sozial-emotionale Kompetenz) Outcomes der Schülerinnen und Schüler sowohl im akademischen als auch im nicht-akademischen Bereich.
Aldrup, K., Carstensen, B., & Klusmann, U. (2022). Is empathy the key to effective teaching? A systematic review of its association with teacher-student interactions and student outcomes. Educational Psychology Review, 34(3), 1177–1216. https://doi.org/10.1007/s10648-021-09649-y
Aldrup, K., Carstensen, B., & Klusmann, U. (revised and resubmitted). The role of teachers’ emotion regulation in teacher- student interactions and student outcomes: A systematic review and meta-analysis.
Forschungsergebnisse
Eine systematische Literaturrecherche in einschlägigen Datenbanken ergab 41 relevante Studien zur Empathie von Lehrkräften und 57 Studien zur Emotionsregulation. Bemerkenswert ist, dass die Mehrzahl der Studien innerhalb der vergangenen zehn Jahre veröffentlicht wurde, was auf ein noch junges Forschungsfeld hindeutet. Meist wurden die Lehrkräfte um eine Selbsteinschätzung ihrer Empathie bzw. Emotionsregulation gebeten, wobei vielfach eine allgemeine Einschätzung ohne Bezug zur beruflichen Tätigkeit erfolgte. Auch die Qualität der Lehrer-Schüler-Interaktion sowie die Outcomes der Schülerinnen und Schüler wurden überwiegend von den Lehrkräften selbst beurteilt.
In der Mehrzahl der Studien war die Empathie der Lehrkraft nicht mit den drei Basisdimensionen der Unterrichtsqualität assoziiert, das heißt weder mit emotionaler Unterstützung, Klassenführung oder fachlicher Unterstützung noch mit globalen Einschätzungen der Unterrichtsqualität zeigten sich Zusammenhänge. Einzig für den Umgang mit Bullying, der als ein Teilaspekt von emotionaler Unterstützung betrachtet werden kann, zeigte sich, dass Lehrkräfte, die in hypothetischen Szenarien mehr Empathie mit Opfern von Bullying empfanden, eher bereit waren, diese zu unterstützen und zu intervenieren. Auch zwischen der Empathie der Lehrkraft und der kognitiven und psychosozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zeigten sich kaum Zusammenhänge.
Aldrup, K., Carstensen, B., Köller, M. M., & Klusmann, U. (2020). Measuring teachers’ social-emotional competence: Development and validation of a situational judgment test. Frontiers in Psychology, 11, Article 892. https://doi.org/10.3389fpsyg.2020.00892

Zusammengefasst lassen diese Befunde die Relevanz von Empathie fraglich erscheinen. Da jedoch Selbsteinschätzungen von Empathie positiv verzerrt sein können, ist die Aussagekraft bisheriger Studien eingeschränkt. Zudem können die spezifischen Anforderungen, die Interaktionen mit Schülerinnen und Schülern an die Empathie von Lehrkräften stellen, durch eine allgemeine Erfassung ohne Bezug zum beruflichen Kontext nicht abgebildet werden. Folglich wäre weitere Forschung mittels objektiver, professionsspezifischer Verfahren wünschenswert, die jedoch bislang fehlen. Ein Ausgangspunkt bei der Entwicklung entsprechender Messinstrumente könnte der von der SEMO-Forschungsgruppe erarbeitete Test zur Erfassung der Fähigkeit zur Emotionsregulation und zum Beziehungsmanagement sein.

Abbildung 2: Eigenschaften der identifizierten Studien zur Empathie und Emotionsregulation von Lehrkräften

Abbildung 3: Korrelationen zwischen Empathie und der Unterrichtsqualität sowie Schüleroutcomes in Abhängigkeit des methodischen Ansatzes zur Messung von Empathie
Mit Blick auf die Emotionsregulation von Lehrkräften zeigten die Ergebnisse der hier thematisierten Überblicksarbeit, dass expressive Regulation, also das Unterdrücken oder Vortäuschen von Emotionen, mit weniger emotionaler und fachlicher Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler sowie einer ineffektiveren Klassenführung einherging. Auch fanden sich erste Hinweise darauf, dass expressive Regulation mit schlechteren Schüleroutcomes, zum Beispiel weniger prosozialem Verhalten, assoziiert war. Für kognitive Regulation zeigte sich hingegen, dass diese mit vermehrter emotionaler Unterstützung – zumindest aus Sicht der Lehrkräfte – in Zusammenhang stand.

Folglich scheint insbesondere expressive Regulation mit der Unterrichtsqualität und Schüleroutcomes assoziiert zu sein. Das Unterdrücken oder Vortäuschen von Emotionen, ohne das eigene Empfinden tatsächlich zu verändern, steht dabei eher mit negativen Konsequenzen in Zusammenhang. Ebenso ist jedoch denkbar, dass zum Beispiel im Umgang mit herausfordernden Schülerinnen und Schülern verstärkt negative Emotionen auftreten, sodass Lehrkräfte sich gezwungen sehen, expressive Regulation einzusetzen, um den Anforderungen an ihre Rolle gerecht werden zu können. Die Frage nach der kausalen Wirkrichtung kann auf Basis der bisherigen Studie nicht beantwortet werden.

Abbildung 4: Anteil der statistisch signifikant positiven Zusammenhänge zwischen kognitiver Regulation, der Unterrichtsqualität und Schüleroutcomes sowie der statistisch signifikant negativen Zusammenhänge für expressive Regulation
Carstensen, B., Köller, M., & Klusmann, U. (2019). Förderung sozial-emotionaler Kompetenz von angehenden Lehrkräften: Konzeption und Evaluation eines Trainingsprogramms. Zeitschrift Für Entwicklungs- psychologie und Pädagogische Psychologie, 51(1), 1–15. https://doi.org/10.1026/00498637/a000205
Fazit
Wenngleich bisherige Studien die Bedeutung von Empathie und Emotionsregulation nicht klar unterstreichen konnten, erscheint weitere Forschung zu diesem Thema lohnenswert. Aus theoretischer Perspektive gibt es überzeugende Argumente für die Annahme, dass Empathie und Emotionsregulation mit der Unterrichtsqualität und der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler assoziiert sind. Darüber hinaus wird Empathie auch von Schülerinnen und Schülern als wichtige Eigenschaft von Lehrkräften benannt und die Emotionsregulation ist bedeutsam für das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften und könnte somit auf mehreren Ebenen wirksam sein. Die Forschungsgruppe SEMO am IPN konnte bereits zeigen, dass sozial-emotionale Kompetenz schon im Studium durch Trainings gezielt gefördert werden kann, sodass sich hier ein Ansatzpunkt für die effektive Verbesserung von Unterricht böte.
Über die Autorin:

Dr. Karen Aldrup ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie am IPN. Die Diplom-Psychologin beschäftigt sich vornehmlich mit Fragen zur Lehrer-Schüler-Beziehung und mit der sozial-emotionalen Kompetenz von Lehrkräften und ihren Effekten auf das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften sowie auf die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. aldrup@leibniz-ipn.de