Diagnosefähigkeit im Biologie-Lehramtsstudium messen und fördern

Einsatz der Klassenraumsimulation SKRBio mit und ohne Chatbot-Unterstützung

Daniela Fiedler & Ute Harms

Obwohl die fachliche und fachdidaktische Diagnose der Leistungen von Schülerinnen und Schülern durch die Lehrkraft einen zentralen Aspekt gelingender Lernprozesse darstellt, wird sie im Unterricht oft vernachlässigt. Gründe hierfür sind vielfältig, einer von ihnen ist beispielsweise die Diagnosefähigkeit der Lehrkraft. Es ist wenig darüber bekannt, inwieweit Lehramtsstudierende in der Lage sind, die Ideen, Erklärungen oder Argumente von Schülerinnen und Schülern fachlich und fachdidaktisch korrekt zu diagnostizieren. Um die Diagnosefähigkeit im Biologie-Lehramtsstudium messen und vor allem auch fördern zu können, wurde die Klassenraumsimulation SKRBio (kurz für Simulierter KlassenRaum Biologie) entwickelt und durch einen Chatbot – als Prototyp eines adaptiven Feedbackgebers zur Unterstützung der Lehramtsstudierenden – ergänzt.

Digitale Lernumgebungen sind zunehmend in den Fokus der Bildungsforschung und universitären Lehregerückt, da sie quasi-authentische Lernsituationen erzeugen können, in denen die Komplexität der realen Unterrichtssituation reduziert und auf einen spezifischen Aspekte des Unterrichtsprozesses konzentriert wird, wie zum Beispiel auf die Diagnose von Schüleräußerungen zu einem konkreten fachlichen Lerngegenstand. Lehrkräfte müssen in der Lage sein, die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler (z.B. deren Erklärungen oder Argumente zu bestimmten Fragestellungen) im Unterrichtsgeschehen schnell und präzise einzuschätzen, um den weiteren Lernprozess, etwa durch eine direkte Rückmeldung, unterstützen zu können. Allerdings sind Lehrkräfte im realen Unterricht meist so stark mit der Umsetzung ihrer Unterrichtsplanung und dem Klassenmanagement beschäftigt, dass die fachliche und fachdidaktische Beurteilung der Leistungen oft vernachlässigt wird.

Lehrkräfte entwickeln deklaratives, fachliches, fachdidaktisches und pädagogisch-psychologisches Wissen – also die Grundlagen für ihr späteres professionelles Handeln im Unterricht – zwar während des Lehramtsstudiums, dies bleibt jedoch oft „träge“. Das heißt, sie wenden ihr Wissen in Praxissituationen nicht an. Dies kann zu unzureichenden Diagnosen der Schülerleistungen und in Folge zu inadäquaten Rückmeldungen und Hilfestellungen im Unterricht führen.

Die Klassenraumsimulation SKRBio und ihre drei Unterrichtsthemen

Um die Diagnosefähigkeit schon im Biologie-Lehramtsstudium messen und insbesondere auch fördern zu können, wurde die Klassenraumsimulation SKRBio entwickelt. Im SKRBio schlüpfen Biologie-Lehramtsstudierende in die Rolle einer Lehrkraft, um in einer simulierten Klassenraumumgebung in einer Unterrichtssequenz die Leistung virtueller Schülerinnen und Schüler (als Portrait-Fotos dargestellt) zu diagnostizieren. Die digitale Unterrichtssequenz folgt dabei einem Frage-Antwort-Schema, bei dem Fragen aus einem vorgegebenen Fragenpool an die virtuelle Klasse gerichtet werden können. Die Antworten der virtuellen Schülerinnen und Schüler sind einer spezifischen Niveaustufe zugeordnet. Die Niveaustufen zu den jeweiligen Themen im SKRBio wurden theoriegeleitet und in Anlehnung an publizierte Kompetenzniveaustufenmodelle festgelegt.

Während der Unterrichtssequenz soll jede Antwort der virtuellen Schülerinnen und Schüler von dem bzw. der Lehramtsstudierenden (beispielsweise eine Fehlvorstellung zu einer evolutionsbiologischen Frage) diagnostiziert werden, indem die Antwort einer der vordefinierten Niveaustufen zugeordnet wird. Nach der Unterrichtssequenz soll jeder Schüler bzw. jede Schülerin wiederum genau der Stufe zugeordnet werden, die in seinen bzw. ihren Antworten am häufigsten über die gesamte Unterrichtsequenz hinweg gezeigt wurde. Der Grad der Übereinstimmung zwischen den Bewertungen der virtuellen Klasse durch die Lehramtsstudierenden und der voreingestellten tatsächlichgezeigten Leistung (gemessen in der jeweiligen Niveaustufe) ergibt ein Maß für die Diagnosefähigkeit des bzw. der Lehramtsstudierenden.

Die erste Version des SKRBio für das Thema Evolution (Kompetenzbereich Sachkompetenz) wurde im Projekt „ProSim: Prozedurales Professionswissen im Simulierten Klassenraum entwickeln“ (gefördert durch das BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung , in den Jahren 2017-2020) entwickelt. Im darauf aufbauenden Projekt „FiSK: Effekte adaptiver Feedbackbots im Simulierten Klassenraum auf prozedurales Professionswissen“ (ebenfalls gefördert durch das BMBF, in den Jahren 2021-2024) wurde die Klassenraumsimulation um die Themen Experimentieren (Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung) und Argumentieren (Kompetenzbereich Kommunikation) erweitert und durch einen Chatbot als Prototyp für einen adaptiven Feedbackgeber ergänzt.

Darstellung des SKRBio  (hier zum Thema Evolution)  während der digitalen Unterrichtssequenz mit integriertem Chatbot.
Darstellung des SKRBio (hier zum Thema Evolution) während der digitalen Unterrichtssequenz mit integriertem Chatbot.

Unterstützung und Kontrolle der Diagnoseleistungen

Im SKRBio wird der Diagnoseprozess der Lehramtsstudierenden (Probanden) während der Unterrichtssequenz durch einen integrierten Chatbot unterstützt, der in der digitalen Lernumgebung zwei Funktionen übernimmt: Zum einen können Probanden aktiv Fragen an den Chatbot stellen (z. B. „Was ist eine teleolo-gische Fehlvorstellung?“) und erhalten – ähnlich einem digitalen Wörterbuch – eine standardisierte Antwort zu vordefinierten Begriffen bzw. Anfragen. Zum anderen reagiert der Chatbot proaktiv auf bestimmte Verhaltensmuster der Probanden (z. B. die dreimalige Auswahl des gleichen virtuellen Schülers) durch Eingabe bestimmter Aufforderungen bzw. Informationen (z. B. verschiedene Schülerinnen und Schüler einmal zum Vergleich dranzunehmen).

Nach der Unterrichtssequenz und Diagnose der virtuellen Klasse steht den Probanden ein sogenanntes Report-Modul zur Verfügung, in welchem die durchgeführte Unterrichtssequenz für sie noch einmal zusammengefasst wird. In dieser Rückmeldung können die Probanden selbst überprüfen, ob ihre Diagnosen korrekt ausgefallen sind.

Beschreibung der theoriebasierten Niveaustufen der drei Themen im SKRBio
Beschreibung der theoriebasierten Niveaustufen der drei Themen im SKRBio

Bisherige Erkenntnisse und Ausblick

Fiedler, D., Baer, D., & Harms, U. (2024).  Die Klassenraumsimulation SKRBio im Biologie-Lehramts- studium: Fähigkeiten zur Diagnose von Argumenten  messen und fördern. In N. Graulich, J. Arnold, S. Sorge,  & M. Kubsch (Hrsg.), Lehrkräftebildung von morgen:  Beiträge der Naturwissenschaftsdidaktiken zur Förderung überfachlicher Kompetenzen (S. 291–300). Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830997962.31

In unseren ersten Studien mit dem SKRBio mit Chatbot zeigt sich, dass Biologie-Studierende zwischen 25% bis 40% der Antworten der virtuellen Schülerinnen und Schüler vollständig korrekt diagnostizieren, d. h. allein der jeweiligen Antwort hinterlegten fachlichen Elemente oder Aspekte erkennen. Allerdings zeigen sich große Unterschiede in der korrekten Bewertung der Niveaustufe eines Schülers bzw. einer Schülerin bei den verschiedenen Themen des SKRBio. So ordnen die Probanden beim Thema Evolution im Mittel 67% der virtuellen Klasse der korrekten Niveaustufe zu, während es beim Experimentieren 47% und Argumentieren nur 24% sind. Obgleich die Fokussierung auf die Diagnose einzelner Antworten eine Limitation gegenüber einem komplexen Unterrichtsgespräch darstellt, bietet der SKRBio dennoch die Möglichkeit, das im Studium erworbene deklarative Wissen – z.B. über verbreitete Fehlvorstellungen zur Evolution – in einer konkreten simulierten Handlungssituation anzuwenden und so das Diagnostizieren zu relevanten Themen des Biologieunterrichts einzuüben. In einem gerade gestarteten Projekt, im Rahmen des Projektverbundes DigiProMIN (im Kompetenzverbund lernen:digital, der durch die Europäische Union – NextGenerationEU und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird), wird der SKRBio nun auch als digitale Lernumgebung in Fortbildungen für Biologie-Lehrkräfte der zweiten und dritten Phase integriert. Dort soller die Diagnosefähigkeit in den Kompetenzbereichen Sachkompetenz, Erkenntnisgewinnung und Kommunikation der Bildungsstandards unterstützt werden.

Über die Autorinnen:

Dr. Daniela Fiedler war bis vor kurzem wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Didaktik der Biologieam IPN. Aktuell ist sie Tenure-Track Professorin am Institut für Naturwissenschaftsdidaktik (IND) der Universität Kopenhagen. Sie forscht über das Lehren und Lernen der Evolution mit Fokus auf Kompetenzentwicklung: dfiedler@ind.ku.dk

Prof. Dr. Ute Harms ist Direktorin am IPN und Professorin für Didaktik der Biologie an der CAU. Das Lehren und Lernen der Evolution über die Lebensspanne ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte: harms@leibniz-ipn.de