Spuren der Vergangenheit entdecken

Wie mit einer App aktuelle landschaftsarchäologische Forschungsinhalte vermittelt werden können

David Frederik Hölscher

In einer Studie des Kiel Science Outreach Campus am IPN wurde eine mobile digitale Lernumgebung zur Landschaftsarchäologie entwickelt und untersucht, inwieweit mit deren Nutzung das Interesse und das Wissen in dem Bereich gesteigert werden kann.

   Die Dissertation mit den Studiendaten ist  im Open Access online veröffentlicht unter: https://macau.uni-kiel.de/receive/macau_mods_00003272

Im Rahmen des Kiel Science Outreach Campus (KiSOC) widmete sich ein Teilprojekt dem Lernen über Archäologie mit mobilen Lernumgebungen. KiSOC war ein gemeinsam vom IPN und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) initiierter Leibniz-WissenschaftsCampus zum Thema Wissenschaftskommunikation, der bis vor wenigen Jahren am IPN koordiniert wurde. Der Campus bestand aus 15 universitären und außeruniversitären Partnern. Mit ihm sollte aufgezeigt werden, wie wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich in die Öffentlichkeit getragen werden können. Ein beispielhafter Weg dazu wurde in dem hier vorgestellten Teilprojekt beschritten. In ihm wurde eine App zum Thema Landschaftsarchäologie entwickelt und erprobt. Dies erfolgte auf Exkursionen in Form von Fahrradtouren mit Erwachsenen sowie Familien mit Kindern. Leitfrage der Untersuchung war, ob die Nutzung einer App mit aktuellen landschaftsarchäologischen Forschungsinhalten im Freien die Vorstellungen der Lernenden von Landschaft als historisches Phänomen verändert. Um die Wirkung der Lernumgebung zu untersuchen, wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor und nach den Exkursionen leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Sie lieferten Informationen darüber, welche Veränderungen in den Vorstellungen der Teilnehmenden über Landschaft, Mensch-Umwelt-Beziehungen und Archäologie vorkamen, ob das Angebot positiv aufgenommen wurde und wo Verbesserungsbedarf bestand. Die Interviews wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet und durch Fallbeschreibungen sowie Erkenntnissen aus Feldnotizen ergänzt. So konnten eine vorläufige Typologie der Vorstellungen erstellt und Lernverläufe rekonstruiert werden.

Als Modellregion, in der die App zur Anwendung kam, wurde die Hohwachter Bucht im Umfeld der Stadt Lütjenburg (Kreis Plön) in Schleswig-Holstein gewählt – ein sowohl landschaftlich abwechslungsreiches als auch kulturhistorisch gehaltvolles Gebiet. Als fachliche Grundlage wurde die Kultur- und Landschaftsgeschichte vom Ende der letzten Eiszeit bis zum Ende des Mittelalters beschrieben.

Die Lernumgebung

In die Entwicklung des Konzepts für die App flossen Leitlinien aus dem Modell der didaktischen Rekonstruktion, Erkenntnisse aus dem outdoor learning, dem game-based learning bzw. der gamification sowie aus der Didaktik der Geschichte ein. Besonders berücksichtigt wurden auch Erfahrungen aus der Vermittlung der Umweltgeschichte. Denn den inhaltlichen Schwerpunkt der Vermittlung bildeten Aspekte vergangener Mensch-Umwelt-Verhältnisse, und zwar aus archäologischer Perspektive. Anknüpfungspunkte hierfür bestanden aus physischen Spuren der Landschafts- undKulturgeschichte, dort, wo die entsprechenden Entwicklungen stattgefunden haben. Die technische Lösung zur Umsetzung bildete die App „XPLORE“ der Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

Die Zielgruppe setzte sich aus einem interessierten Laienpublikum zusammen, in das auch Kinder und Jugendliche im Alter von etwa 12 Jahren einbezogen wurden. Aus dem breiten Zielpublikum mit überwiegend geringem Vorwissen resultierte auch ein eher niedriges Anforderungsniveau der Lernumgebung.

Die Lernumgebung bestand aus einer etwa 22 km langen Fahrradtour entlang 16 verschiedener Stationen in der Modellregion. An jeder Station konnten die Teilnehmenden mit Hilfe der App spielerisch Informationen abrufen. Die Stationen wurden hauptsächlich an Bodendenkmälern und archäologischen Fundstellen, zum Teil aber auch an anderen markanten Landschaftselementen platziert. An den Stationen wurden die Themengebiete Ernährung und Wirtschaftsweise, Siedlung und Wohnen, Ressourcennutzung, Verkehr und Austausch, Sicherheit und Befestigung, Hierarchien und Herrschaft sowie Bestattung behandelt. Landschaftsgeschichte bzw. Paläoökologie und Kulturgeschichte wurden dabei eng verzahnt. Der Fokus lag darauf, ein Verständnis für langfristige Entwicklungen zu fördern. Die Lernenden sollten sowohl das Zusammenwirken menschlicher und natürlicher Einflussfaktoren auf die Entstehung von Landschaft über die Zeit erfassen als auch erkennen, dass Spuren aus unterschiedlichen Phasen dieses Zusammenspiels in der gegenwärtigen Landschaft zu finden sind. Denn die Landschaft, wie sie Menschen heute begegnet, stellt sich als Resultat einer langen und vielfältigen Entwicklung dar, deren Spuren vielschichtig zusammenwirken. Diese Aspekte zu erfassen, bedeutet gleichsam, ein (historisches) Bewusstsein für Landschaft zu entwickeln.

Konzepte werden ausgebildet

Bei den vor den Exkursionen bestehenden Vorstellungen der Studienteilnehmenden über Landschaft, Mensch-Umwelt-Verhältnis und Archäologie deutet sich ein starker Einfluss von Massenmedien und populären Darstellungen an. Inhaltlich bestanden sie mehrheitlich aus einer Mischung fachnaher und fachferner Konzepte.

Die Exkursionen sorgten für eine Anreicherung der Vorstellungen um fachnahe Konzepte. So förderten sie beiden meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Bereich Landschaft die Einbindung des menschlichen Faktors. Landschaft wurde in Folge der Exkursionen also als menschlich beeinflusster, historisch gewachsener Raum oder als Raum, in dem es historisch-archäologische Spuren zu entdecken gibt, wahrgenommen. Auch wenn es einzelnen Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmern Mühe bereitete, archäologische Denkmäler mit Hilfe der App zu identifizieren, wurde die Lernumgebung insgesamt sehr positiv aufgenommen.

Darüber hinaus entwickelte eine knappe Mehrheit der Exkursionsteilnehmenden nachhaltig und langfristig ein Bewusstsein für Landschaft. Dies zeigte sich vor allem in einer stärkeren Wahrnehmung potenzieller anthropogener Landschaftsmerkmale oder auch in einer bewussten Verknüpfung der physischen Gestalt der Landschaft mit ihrer Geschichte. Hierbei wurde deutlich, dass ortsgebundenes Lernen auch im Bereich der Landschafts- und Umweltgeschichte die Auseinandersetzung mit Geschichte anregen und unterstützen kann. Es steht zu vermuten, dass es für die Ausbildung eines Bewusstseins für Landschaft in der genannten Art wichtig ist, den (prä-)historischen Geschehensorten eine persönliche Bedeutung zuzuschreiben. Dabei legen die Studienergebnisse nahe, dass die Identifikation der entsprechenden Geschehensorte – hier vor allem Bodendenkmäler – eine bedeutende Voraussetzung bildet. Erst mit dem Lernen über Spuren von Kultur- und Umweltgeschichte in der Landschaft und mit der Ausbildung der Fähigkeit, mögliche Spuren zu erkennen, werden Menschen also in die Lage versetzt, sich mit Landschaften auseinanderzusetzen und vorhandene Landschaftselemente in ihrer einzelnen Bedeutung für die Landschafts- oder auch Kulturgeschichte sowie in ihrem Zusammenspiel zu erfassen.

Fazit

Die Studie zeigt große Potenziale ortsgebundenen Lernens mit mobilen digitalen Medien in den Bereichen Archäologie und Umweltgeschichte auf. Bei ihrer Entwicklung sollte möglichst nah am Forschungsstand gearbeitet werden, damit der Gegenstand der Vermittlung, d.h. die Inhalte, der fachlichen bzw. wissenschaftlichen Grundlage gerecht wird. Dies bedeutet auch, Unsicherheiten, Erkenntnislücken und die Vorläufigkeit des Wissensstandes offen zu kommunizieren. Die Interessen, Vorstellungen, Kompetenzen und Fähigkeiten – kurz: die Lernvoraussetzungen der potenziellen Nutzerinnen und Nutzer – müssen bei den Planungen berücksichtigt werden, ebenso ihre Befähigung, bestimmte Angebote zu nutzen. Passt das Angebot nicht zur Zielgruppe, ist eine Nutzung durch sie unwahrscheinlich.

Über den Autor

Dr. David Frederik Hölscher war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU und im KiSOC am IPN der Abteilung Didaktik der Chemie zugeordnet. Der studierte Archäologe und Historiker beschäftigte sich im Kiel Science Outreach Campus (KiSOC) mit der Vermittlung aktueller Forschung in multimedialen Lernumgebungen. Die hier vorgestellte Studie ist Teil seiner Dissertation. ipnjournal@leibniz-ipn.de