Von Forschenden lernen, selbst zu forschen

Im Profilseminar in Schleswig-Holsteins Schulen arbeiten Wissenschaft und Bildung eng zusammen

Hendrik Groß und Almut Macke

Wie kann man komplexe Forschung für Schülerinnen und Schüler greifbar machen und gleichzeitig ein selbstständiges Erarbeiten wissenschaftlicher Themen ermöglichen? Dieser Frage widmet sich das Profilseminar Sensorik und Medizin, welches das IPN in enger Zusammenarbeit mit der Kieler Humboldt-Schule und Forschenden des Sonderforschungsbereichs 1261 Biomagnetic Sensing der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel entwickelt hat. Dabei werden nicht nur wichtige Fähigkeiten außerhalb der Kernfächer erlernt, sondern auch ein Dialog zwischen Forschenden und Schülerinnen und Schülern hergestellt.

Das im Jahr 2021 in Schleswig-Holstein eingeführte Profilseminar soll Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, eigenständig und projektbasiert Themen außerhalb der Profilfächer zu erkunden. Der Rahmen für die Durchführung des Profilseminars ist dabei bewusst offengehalten und kann von der Durchführung bis zur Prüfung individuell von Schule und Lehrkraft gestaltet werden. Hierbei wird ein komplexes, fachübergreifendesThema selbstständig erarbeitet und somit für die Seminarteilnehmenden greifbar. Um dies zu unterstützen, können während des Seminars außerschulische Partner hinzugezogen werden und das Seminar um Workshops, Besuche von Forschungseinrichtungen und Industrie sowie den Dialog mit Expertengruppen bereichert werden. Je nach Festlegung der Schule findet das Profilseminar über die ersten zwei bis drei Halbjahre der Qualifikationsphase der Oberstufe statt, wobei, über die Halbjahre verteilt, auch mehrere Themenbereiche bearbeitet werden können.

Sensorik und Medizin - direkte Anbindung an aktuelle Forschung

Das Profilseminar mit dem Titel Sensorik und Medizin entstand aus der engen Zusammenarbeit von IPN, einem Sonderforschungsbereich (SFB) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) sowie der Kieler Humboldt-Schule. Dort wurde das Seminar in diesem Schuljahr nach Überarbeitung erneut durchgeführt. Nach der ersten Umsetzung flossen Feedback und Wünsche in die Überarbeitung ein.

Phasen des Profilseminars Sensorik und Medizin, welche gemeinsam von Lehrkraft, Forschenden und IPN entwickelt wurden. Das übergreifende Ziel, komplexe Wissenschaft greifbar zu machen, entstand aus der engen Zusammenarbeit mit Forschenden und kann je nach Seminarausrichtung individuell gesetzt werden.
Phasen des Profilseminars Sensorik und Medizin, welche gemeinsam von Lehrkraft, Forschenden und IPN entwickelt wurden. Das übergreifende Ziel, komplexe Wissenschaft greifbar zu machen, entstand aus der engen Zusammenarbeit mit Forschenden und kann je nach Seminarausrichtung individuell gesetzt werden.

Ziel des Profilseminars ist es, den Seminarteilnehmenden einen Einblick in die Forschung des Sonderforschungsbereichs 1261 Biomagnetic Sensing zu geben sowie einen Dialog zwischen den im SFB beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und der Schule aufzubauen. So bietet sich für die Forschenden die Möglichkeit, ihre Fachthemen in die Öffentlichkeit zu tragen und zielgruppengerecht zu kommunizieren, während die Schülerinnen und Schüler authentische Einblicke in Forschung und wissenschaftliche Praxis erhalten. Das Seminar – beginnend im ersten Halbjahr der Qualifikationsphase in Jahrgang 12 (bzw. 11 im Fall von G8) – ist in mehrere Phasen unterteilt: In der ersten Phase wird die Verbindung von Schule und Wissenschaft über einen Film hergestellt, der von den am SFB beteiligten Forschenden produziert wurde. Daran schließt ein speziell entwickelter Projekttag in dem von der CAU und dem IPN gemeinsam betriebenen Schülerlabor, der Kieler Forschungswerkstatt, an. Der Übergang zur zweiten Phase ist dabei fließend, wobei die Methoden der Forschungs- und Projektarbeit in der Schule erlernt werden. Dazu stellt der SFB eine zusätzliche Handreichung mit Experimenten zur Verfügung. Das übergreifende Ziel, komplexe Wissenschaft greifbar zu machen, entstand aus der engen Zusammenarbeit mit Forschenden und kann je nach Seminarausrichtung individuell gesetzt werden.

In vier Stationen erlernen und erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in dieser Phase selbstständig die Grundlagen von Herzfunktion und -diagnostik sowie die Grundprinzipien der zur Diagnostik verwendeten magnetoelektrischen Sensoren: Piezoelektrizität sowie Magnetostriktion. Erstere beschreibt dabei die Eigenschaft eines Festkörpers, aus Verformung eine elektrische Spannung zu erzeugen; ein magnetostriktives Material wiederum ändert sein Volumen unter Einfluss eines äußeren Magnetfelds. Das Zusammenspiel beider Eigenschaften ermöglicht es, ein durch die Herzaktivität erzeugtes Magnetfeld zu detektieren und hieraus ein Magnetokardiogramm (MKG) zu erzeugen. Auf Basis des Erlernten erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars im vierten Versuchsteil schließlich die Möglichkeit, einen eigenen Sensor zu entwickeln und diesen an einer Messstation zu prüfen. Diese Themen schließen somit an Basiskonzepte der Schulfächer Biologie, Chemie und Physik an, gehen thematisch jedoch darüber hinaus in Richtung heutiger hochrelevanter Forschungsbereiche.

Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1261

ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das magnetoelektrische Sensoren für die medizinische Diagnostik

entwickelt. Das IPN begleitet die Forschung des SFB im Bereich der Bildung und Öffentlichkeitsarbeit und macht diese mit einem breiten Angebot in der Schule und auf Veranstaltungen für die Öffentlichkeit erlebbar. Der SFB befindet sich am Ende seiner zweiten Förderperiode (2020-2024) und strebt die Verlängerung um weitere vier Jahre Laufzeit an.

www.biomagnetic-sensing.de

Forschung von Forschenden lernen

Im Anschluss an den Projekttag steht in der dritten Phase, der Seminarphase, für die meisten Schülerinnen und Schüler des Profilseminars eine anspruchsvolle Aufgabe an: das Finden einer Forschungsfrage sowie die Entwicklung eines eigenen Projekts zum Thema Sensorik und Medizin. Hierbei gilt es nicht nur, eine relevante und interessante Fragestellung zu finden, sondern auch Fähigkeiten wie Zeitmanagement, Materialbeschaffung, Programmierung un Präsentationstechniken anzuwenden und auszubauen. Basierend auf der durchgeführten Evaluation zeigten sich in dieser Phase die größten Schwierigkeiten.

Nach einer ersten Durchführung des Profilseminars wurde deshalb die Einbindung und Unterstützung von Personen mit Expertise in dem Feld deutlich ausgebaut. So wurden, in Kooperation mit dem Landesprogramm Zukunft Schule im digitalen Zeitalter, zwei Workshops zur von Sensoren mit Mikrocontrollern eingeführt, welche direkt in der Schule stattfanden. Diejenigen, die den Workshop durchgeführt haben, blieben danach für technische Fragen während der Projektbearbeitung für die Schülerinnen und Schüler ansprechbar. Zusätzlich wurde ein vierköpfiges Gremium aus Forschenden des SFB berufen, das die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung ihrer Forschungsfrage beriet sowie der Lehrkraft bei der fachlichen Bewertung der Projektergebnisse mit einer zweiten Meinung zur Seite stand. Die Beteiligten erhielten weiterhin die Möglichkeit, für Einblicke und Inspiration die Technische Fakultät der CAU zu besuchen.

Das Profilseminar führte zu einer Vielzahl an Projektideen und -ergebnissen, die am Ende des Semesters in der letzten Phase allen Beteiligten vorgestellt wurden. Die Forschungsfragen erstreckten sich hierbei über verschiedenste medizinische und sensorische Themenbereiche wie Hörschutz, Altenpflege, Ergonomie im Alltag, persönliche Schutzausrüstung sowie Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Zum Beispiel entstand ein mit Abstandssensor versehener Hut, welcher seinen Träger innerhalb von drei Metern durch ein akustisches Signal vor einer Kollision warnen sollte. Der Hut sollte dabei sowohl zur Unterstützung blinder Menschen als auch in Form eines Helms für Feuerwehrleute, welche sich im Einsatz bei schlechter Sicht orientieren müssen, eingesetzt werden.

Ergebnis eines Profilseminarprojekts:  Der Hut wurde mit einem Abstandssensor versehen und über einen Mikrocontroller (beide auch einzeln vor dem Hut zu sehen) programmiert. Nähert sich der Hutträger  einem Hindernis, wird unter einem Abstand von drei Metern ein akustisches Signal ausgelöst und der Träger vor einer Kollision gewarnt. Das Konzept soll Blinde im Alltag  sowie Feuerwehrleute im Einsatz unter- stützen.
Ergebnis eines Profilseminarprojekts: Der Hut wurde mit einem Abstandssensor versehen und über einen Mikrocontroller (beide auch einzeln vor dem Hut zu sehen) programmiert. Nähert sich der Hutträger einem Hindernis, wird unter einem Abstand von drei Metern ein akustisches Signal ausgelöst und der Träger vor einer Kollision gewarnt. Das Konzept soll Blinde im Alltag sowie Feuerwehrleute im Einsatz unter- stützen.

Kontinuierliche Weiterentwicklung

Das Profilseminar wird auch zukünftig weiterentwickelt. So fiel es trotz des Angebots vielen Schülerinnen und Schülern schwer, sich bei Fragen an die Expertinnen und Experten von CAU und IPN zu wenden. Ebenso wurde vielfach angemerkt, dass sich die Findung der Forschungsfrage, das Zeitmanagement sowie praktische Projektarbeiten deutlich schwieriger als angenommen gestaltet haben. Für die dritte Iteration des Profilseminars soll daher erneut Feedback eingearbeitet und ein zweiter Tag in der Kieler Forschungswerkstatt integriert werden – Schülerinnen und Schüler können hier Unterstützung bei der Konstruktion ihrer bereits begonnen Prototypen erhalten. Darüber hinaus würde die Distanz zu der Expertengruppe weiter abgebaut. Die Weiterentwicklungen werden mit einer Fragbogenstudie zum projektorientierten forschenden Lernen wissenschaftlich begleitet.

Fazit

Alle Beteiligten fanden den direkten Austausch sehr wertvoll. Durch den direkten Dialog und außerschulische Veranstaltungen konnten die Seminarteilnehmenden wichtige Einblicke bekommen und eigene Erfahrungen erproben. Aus Sicht der Lehrkraft bot sich durch die eigenständige Einarbeitung der Schülerinnen und Schüler in das Seminarthema ein neuer Fokus, der eine verstärkte Förderung der Selbstorganisation und Methodenkompetenz ermöglichte.

Über die Autorin und den Autor:

Dr.-Ing. Hendrik Groß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Didaktik der Chemie am IPN und im Teilprojekt Öffentlichkeitsarbeit und Bildung (SOP) des Sonderforschungsbereichs 1261 Biomagnetic Sensing tätig. Als Materialwissenschaftler arbeitete er fünf Jahre lang in der Fachforschung und Elektronenmikroskopie und widmet sich seit dem Jahr 2022 der Herausforderung, bei verschiedenen Personengruppen Neugier und Begeisterung für Materialien und Technik zu entfachen.

Almut Macke ist Lehrerin für die Fächer Deutsch, Biologie und MINT und seit zehn Jahren an der Humboldt-Schule in Kiel als Lehrkraft, Fachleiterin Biologie und Ausbildungslehrkraft für Referendarinnen und Referendare tätig. Dabei ist es ihr im Oberstufenunterricht wichtig, Schülerinnen und Schülern während ihrer Schulzeit Kompetenzen zu vermitteln, die die Studierfähigkeit fördern, und aktuelle Forschungsaspekte in den Unterricht zu integrieren.



Weiterführende Literatur

Broß, C., Enzingmüller, C., Parchmann, I., & Schmidt, G. (2021). Teaching magnetoelectric sensing to secondary school students: Considerations for educational STEM outreach. Sensors, 21(21), Article 7354.https://doi.org/10.3390/s21217354

Broß, C., Plöger, T., Enzingmüller, C., & Parchmann, I. (2022). Kristalle unter Spannung: Piezoelektrizität als Beispiel für Struktur-Eigenschafts-Beziehungen. Chemkon, 29(8), 240–246. https://doi.org/10.1002/ckon.202100024

Enzingmüller, C., Broß, C., Laumann, D., Parchmann, I., & Schmidt, G. (2021). Magnetfelder am Herzen messen. MNU Journal, 74(2), 149–153.