„Wissenschaftskommunikation braucht belastbare Erkenntnisse“ – IPN-Beschäftigte im Interview über ihre Rolle im neuen Leibniz-Forschungsnetzwerk
Wie gelingt gute Wissenschaftskommunikation in einer Zeit wachsender Erwartungen, komplexer Themen und gesellschaftlicher Polarisierung? Was braucht es, damit Kommunikation nicht nur verständlich, sondern auch wirksam ist? Und welche Rolle kann die Bildungsforschung dabei spielen?
Seit Juni 2025 ist das IPN initiierende Einrichtung und Teil des neuen Leibniz-Forschungsnetzwerks „Evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation“. Ziel des Netzwerks ist es, Forschung und Praxis enger zu verzahnen, Wirkungsmechanismen besser zu verstehen und die Qualität von Wissenschaftskommunikation langfristig zu stärken.
Im Interview geben Carolin Enzingmüller, die das Netzwerk gemeinsam mit Lorenz Kampschulte vom Deutschen Museum leitet, und Willi Scholz, der die operative Koordination im Netzwerk übernimmt, vertiefende Einblicke in die Ziele, Herausforderungen und den interdisziplinären Ansatz des Netzwerks. Beide arbeiten am IPN in der Abteilung Didaktik der Chemie und sind Teil des Kiel Science Communication Network (KSCN). Sie erläutern, warum der Dialog zwischen Bildungsforschung und Kommunikationspraxis so viel Potenzial ist – und was das Netzwerk strukturell anders machen will als bisherige Initiativen.
IPN: Das neue Forschungsnetzwerk ist aktuell in der Startphase. Warum ist es aus Ihrer Sicht gerade jetzt wichtig, ein solches Netzwerk zu gründen?
Carolin Enzingmüller: Weil wir mitten in einer Phase sind, in der Wissenschaftskommunikation gleichzeitig enorm gefordert und enorm gefragt ist. Sie steht mehr denn je im öffentlichen Fokus, sie hat es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft. Aber mit dem wachsenden Interesse steigen auch die Erwartungen: Verständlich soll die Kommunikation sein, klar, aber auch zielgruppengerecht, gerne noch dialogisch oder sogar partizipativ, und natürlich wirksam. Wir stehen also an einem Punkt, an dem nicht mehr Kommunikation gebraucht wird, sondern passgenauere. Und das geht nicht ohne belastbare Erkenntnisse. Wissenschaftskommunikationspraxis braucht also Evidenz - und genau da setzt unser Netzwerk an.
IPN: Was unterscheidet dieses Netzwerk von bisherigen Initiativen zur Wissenschaftskommunikation?
Carolin Enzingmüller: Wir haben viele Initiativen, in denen sich Forschung und Praxis begegnen, gerade wieder bei der PCST-Tagung in Aberdeen, die die internationale Community zusammenbringt, oder auch beim jährlichen Forum Wissenschaftskommunikation hier in Deutschland. Man hört sich zu, tauscht sich anerkennend aus, und geht dann häufig wieder seiner Wege. Dieses interessierte Nebeneinander ist definitiv auch wertvoll.
Was für mich aber teilweise fehlt, ist der gemeinsame Arbeitsmodus. Unser Netzwerk bringt Menschen aus Forschung und Praxis nicht nur in den Austausch, sondern in die Zusammenarbeit. Über drei Jahre hinweg, hoffentlich mit genug Zeit, Raum und Struktur, um gemeinsam an Fragen zu arbeiten, die uns in Forschung und Praxis bewegen. Wir schauen mal, ob wir dann zu ein bisschen mehr Miteinander statt Nebeneinander kommen.

»Unser Netzwerk bringt Menschen aus Forschung und Praxis nicht nur in den Austausch, sondern in die Zusammenarbeit. Über drei Jahre hinweg, mit genug Zeit, Raum und Struktur, um gemeinsam an Fragen zu arbeiten, die uns in Forschung und Praxis bewegen.«
Carolin Enzingmüller
IPN: Was motiviert Sie persönlich, dieses Netzwerk mit aufzubauen und zu koordinieren?
Willi Scholz: Ich sehe sehr großes Potenzial in der Wissenschaftskommunikations-Community. Ich erlebe sie als wach, neugierig, lösungsorientiert, engagiert. Das haben auch die vielen Gespräche rund um die Gründung dieses Netzwerks deutlich gezeigt.
Und ich glaube fest daran, dass Netzwerke von den Menschen leben, die sie gestalten. Bei Leibniz finden wir eine besonders spannende Mischung - von grundlagenorientierter Forschung über anwendungsnahe Ansätze bis hin zu starker Kommunikationspraxis. Mit den Forschungsmuseen, den Citizen-Science-Projekten und vielen engagierten Kolleg*innen sind ideale Voraussetzungen gegeben, um gemeinsam Fragen zu bearbeiten, die uns alle bewegen: Vertrauen, Wirkung, Teilhabe zum Beispiel.
IPN: Was kann die Bildungsforschung und damit das IPN zur Qualitätssicherung von Wissenschaftskommunikation beitragen?
Carolin Enzingmüller: Ich sehe die Bildungsforschung ein bisschen wie eine ältere, erfahrene Schwester der Wissenschaftskommunikation. Sie hat sich schon früher mit ähnlichen Fragen beschäftigt – etwa: Wie wirkt das, was wir tun? Wie können wir das messen? Was braucht es, damit Verstehen wirklich gelingt? Und sie hat in den letzten Jahrzehnten unglaublich viel methodisches Know-how aufgebaut. Zum Beispiel, wie man Design und Forschung sinnvoll verzahnt. Wie man Begleitforschung so aufsetzt, dass man daraus auch verallgemeinerbare Erkenntnisse gewinnt. Oder wie man mit Meta-Analysen systematisch Wirkung sichtbar macht. Das lässt sich nicht immer alles 1:1 übertragen, aber vieles lässt sich anpassen und kann helfen, Wissenschaftskommunikation auf ein noch stabileres Fundament zu stellen. Und wenn man das mit der Innovationsfreude und dem Gestaltungswillen der Wisskomm-Community verbinden kann, umso besser.
IPN: Wie sieht die Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Leibniz-Instituten konkret aus?
Willi Scholz: In der ersten Phase geht es uns darum, wirklich gut zuzuhören: Welche Expertise bringen die einzelnen Institute mit? Wo gibt es gemeinsame Fragen? Worauf lässt sich aufbauen? Aus diesem Austausch entstehen dann möglicherweise Arbeitsgruppen, in denen wir gemeinsam an Themen arbeiten - offen, aber strukturiert. Das Netzwerk versteht sich dabei klar als Impulsgeber für evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation aus einer forschungsgeleiteten Logik heraus.
Wir bringen theoretische Perspektiven, systematische Zugänge und robuste Methoden aus den beteiligten Instituten zusammen, um mit der Kommunikations- und Transferpraxis innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft zusammenzuwirken.
Am Ende können daraus – neben Forschungsprodukten – zum Beispiel auch Erkenntnisse zu Wirkungsdimensionen, Reflexionsimpulse oder empirisch fundierte Entscheidungsgrundlagen entstehen - also Dinge, die ganz praktisch dabei helfen, Kommunikationsstrategien weiterzudenken.

»Wir bringen theoretische Perspektiven, systematische Zugänge und robuste Methoden aus den beteiligten Instituten zusammen, um mit der Kommunikations- und Transferpraxis innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft zusammenzuwirken.«
Willi Scholz
IPN: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation in den nächsten Jahren?
Carolin Enzingmüller: Ein Punkt, der mir in den Sinn kommt, ist die Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Welt wird komplexer, die Kommunikation emotionaler, die Medien schnelllebiger. Und genau in diesem Spannungsfeld soll Wissenschaftskommunikation wirken. Das ist kein einfacher Job. Wir brauchen eine gute Erkenntnisgrundlage, die Wirkungsmechanismen fundiert abbildet, und gleichzeitig das dynamische Feld im Blick behält. Aber gute Forschung braucht Zeit. Und auch der Transfer in die Praxis funktioniert nicht von allein. Er muss bewusst gestaltet, begleitet und manchmal auch neu gedacht werden. Da können die Kolleg*innen aus der Bildungsforschung wirklich ein Lied von singen. Wir als Netzwerk sagen also nicht: „Wir liefern die perfekte Lösung.“ Sondern eher: „Wir nehmen uns die Zeit für kluge Fragen, wir messen sorgfältig, wir lernen draus, und wir bessern nach, wo wir können.“ Diese Haltung brauchen wir, besonders dann, wenn der Druck von außen steigt.